Ortler (3905 m)
Überschreitung von König Ortler über Hintergrat und Normalroute

Länge: 10,54374° O
1. Tag - 27.09.2008 Anfahrt und Hüttenaufstieg
Mitten im Wochenendverkehr geht es über
Garmisch-Partenkirchen und den Fernpaß Richtung
italienischer Grenze am Reschenpaß. Kurz
dahinter erblicken Andreas und ich erstmals unser
Wochenendziel: Die eisgepanzerte Kuppe des
Ortlers.
Nach gut vier Stunden erreichen wir das Bergdorf Sulden, in dem der Bergsommer schon zu Ende ist. Ein letztes Wochenende sind Bergbahnen in Betrieb und Bergütten bewirtschaftet. An der Talstation des Sesselliftes Langenstein ordnen wir unsere Ausrüstung und schweben dann gemütlich die ersten 400 Meter in die Höhe. Von der Bergstation aus nehmen wir den Weg Nr. 3 Richtung Hintergrat-Hütte. Es gab Neuschnee, so daß wir bald einer Pfadspur im Neuschnee folgten. Ein letzter Anstieg an einer Seitenmoräne dann erreichen wir nach knapp 80 Minuten die Hintergrathütte.
Andreas erkundete noch den ersten Teil des morgigen Aufstiegs in der Moränenlandschaft.
Nur 11 Bergfreunde übernachten an diesem letzten Hüttenwochenende hier. Dementsprechend ruhig verging der Abend. Die in vielen Internetforen als sehr ungemütlich beschriebene Hütte überrascht: Frisch renovierte Unterkunftsräume mit neuen Betten und sauberer Bettwäsche.
2. Tag - 28.09.2008 Überschreitung und
Heimfahrt
Kurz nach 4:00 Uhr am Morgen beginnt das übliche
Morgenritual auf einer Berghütte: Verschlafene Gesichter
sortieren in Rucksäcken, kleiden sich bergfertig - meistens
schon mit angelegtem, professionellem Klettergeschirr und
drängen in den Speisesaal. Zumindest auf der
Hintergrathütte war es heute etwas ruhiger, wir waren
ja nur wenige Gäste. Man zwingt sich die
Frühstücksbrote mit einem Haferl Kaffee oder Tee rein,
richtig Appetit hat zu dieser Uhrzeit keiner. Danach geht es
endlich los.
Um 4:55 Uhr treten wir vor die Hütte und wandern im Schein der Stirnlampe in Richtung Hintergrat. Nach einiger Zeit ging es in Serpentinen an den Moränenhängen empor, die frostigen Temperaturen hielten das Geröll schön zusammen und erleichterten den Aufstieg. Auf knapp 3200m stoppen wir kurz und legten nun auch Klettergurt und Seilsicherung an.
Steil ging es jetzt in der Südwestflanke des
Hintergrates empor, wo eine leichte Verschneidung
(ca. 2. Grad) die letzten 20 Höhenmeter zum
Hintergrat heraufführt. In Gehgelände
erreichen wir entlang des Grates auf etwa 3550 m in der
beginnenden Morgendämmerung den Beginn des ersten
Eisfeldes.
In der Neuschneeauflage gab es schon eine Pfadspur, so
daß der Weiterweg klar erkennbar war (siehe Bild am
Seitenanfang). Gleichmäßig ging es weiter empor, wobei
ich ab etwa 3700 m Meereshöhe aufgrund der fehlenden
Akklimatisierung gut ins Schnaufen kam. Am oberen
Ende steilt sich das Eisfeld zum Felsgrat auf und führt
in einfachem Gelände zum Signalkopf (3725 m)
hin. In der linken Flanke des Signalkopfes queren wir
auf einem Felsband leicht absteigend weiter um danach wieder
den Grat zu erreichen. Nach einem kurzen Wegstück
erreicht man die Schlüsselstelle des Aufstiegs: Eine
etwa 4m hohe, leicht nach außen geneigte Verschneidung
(4. Grad), die mit 2 (Draht-)Seilschlaufen versehen ist.
Während Andreas in ein paar Sekunden den oberen
Rand erreicht, "würge" ich mich in nicht ganz
stilechter Kletterei da hoch. Das Felsklettern mit
Steigeisen ist noch etwas ungewohnt. Der dann folgende
Risskamin (3. Grad) ist dann etwas einfacher. Ein kurzes
Stück geht es jetzt rechts der Gratschneide weiter bis
zum Beginn des zweiten Firnfeldes.
Etwa 35° - 40° steil geht es jetzt empor, dank der
vorhandenen Trittspur unschwer. Schwerer dagegen mein Schnaufen
in
der
dünnen Luft. Vom oberen Rand des Firnfeldes folgt man dem
felsigen Grat bis zu einer kurzen Wandpassage. Nochmals etwas
anstrengendere Kletterei (3. Grat). Kurz vor einem etwas
griffarmen, etwas nach aussen drängendem Wandstück
treffen wir auf einen Alleingänger, der hier biwakiert hat.
Er kam hier nicht weiter. Hinter Andreas bringe ich das
Wandstück hinter mich und nehme dabei das Seilende des
Alleingängers mit, der dann von Andreas
heraufgesichert wird. Es erfolgt kein Wort des Dankes, dabei
saß er hier schon 12 Stunden herum, ohne weiter zu
kommen.

Die Schwierigkeiten sind damit überwunden und Andreas und ich erreichen über den hier breiter werdenden Grat in wenigen Minuten den Gipfel, den wir um 10:00 Uhr erreichen.
Noch sind die Seilschaften der Normalroute nicht eingetroffen, so daß wir mit nur 4 Bergsteigern im Windschatten der Gipfelwechte die Aussicht von König Ortler geniessen. Nach einer ersten Idee 1982, bin ich somit 26 Jahre später endlich auf dem Gipfel angekommen.

Eine kurze Pause, ein paar Bilder am Gipfelkreuz, es nähern sich die ersten Seilschaften über die Normalroute. Wir beginnen den Abstieg: In weitem Rechtsbogen geht die Spur in festem Firn über das Ortlerplateau hinab. Langsam nimmt die Steilheit zu und es werden einige kleinere Gletscherspalten überschritten. Etwa 40° steil ist der letzte Hang vor dem Lombardi-Biwak (3316 m), bei Blankeis erfordert dies höchste Konzentration. Hier haben wir eine beeindruckende Aussicht in die Ortler-Nordwand. Ins Bärenloch brauchen wir nicht abseilen, sondern können einfach die Firnflanke absteigen. Die folgende Querung ist aufgrund der festen Neuschneeauflage einfach zu gehen.

Entlang des folgenden Felsgrates weiter, bis wir an einem
Bohrhaken etwa 7m nach links abseilen (Im Aufstieg Schwierigkeit
3+). Wieder einfacher geht es etwa 100m entlang der Gratschneide.
Wir erreichen das obere Ende des sogenannten "Wandl".
Klettersteigähnlich mit festen Ketten gesichert steigen wir
schnell etwa 70 Höhenmeter ab. Der nun folgende Grat ist
etwas ausgesetzt aber prinzipiell nicht schwer. Immer den
deutlichen Steigspuren folgend großteils in der
Südostflanke des Grates wird in eine groβe Scharte
abgestiegen. Nochmals müssen wir ein paar Meter in die
Westflanke der Tabarettaspitze aufsteigen, wo hinter einer
Felskante die Payer-Hütte (3029 m) sichtbar wird. Diese wird über den Steig durch
die Nordwestflanke der Tabarettaspitze in wenigen Minuten
erreicht. Etwa 2,5 Stunden hat der Abstieg vom Gipfel
gedauert.
Es ist der letzte Tag der Sommersaison, nur noch ein paar Tagesgäste sind anwesend. Wir essen eines der letzten Kuchenstücke dieser Saison und sortieren die Ausrüstung auf der Terrasse.
Etwa 30 Minuten später beginnen wir die leichte Wanderung ins Tal (Weg Nr. 4). Denkste! Der Neuschnee ist unter den Tritten der Bergwanderer komprimiert und überfroren. Im Abstieg sind die in der Sonne glänzenden Wege spiegelglatt. Wir schlittern mühsam die ersten Serpentinen runter. Kurz bevor wir sicherheitshalber die Steigeisen anlegen wollen ist dieser Abschnitt zu Ende. Dann geht es auf schönen Weg ins Tal hinab. In endlosen Serpentinen verlieren wir Höhe und queren die Bergflanke Richtung Südosten zur Tabarettahütte (2555 m). Weiter geht es der Beschilderung folgend Richtung Sessellift am "Langen Stein", über den wir dann gegen 15:30 Uhr das Auto erreichen.
Die Heimfahrt unterbrechen wir noch für einen Cappucino im Vinschgau, wo wir einen schönen Rückblick zum Ortler haben. Gegen 21:00 Uhr bin ich dann wieder zu Hause.
- Steigeisenfeste Hochtourenschuhe
- Helm
- Steigeisen
- Pickel
- 1 Eisschraube je Person
- Klettergurt
- Sicherungsmaterial, Bandschlingen
- Kleidung entsprechend Jahreszeit und Witterung
- (Tages-) Rucksack, ca. 35 - 40 Liter
- Hüttenschlafsack
- evtl. Teleskopstöcke
Literatur:
Peter Holl, Kleiner Führer -
Ortlergruppe, Bergverlag Rudolf Rother, München, 1. Auflage
1980, ISBN 3 7633 3320 7
Letzte Aktualisierung am 11.01.2023 18:50:14 Uhr
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